Leitsätze:
1.Ein Mieter kann trotz wirksamer Kündigung die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen, wenn der erzwungene Auszug für ihn eine unzumutbare Härte darstellt.
2.Eine solche Härte liegt vor, wenn der erzwungene Wohnungswechsel das überwiegende Risiko eines Suizids des Mieters begründet und alle therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Härte sowie die Abwägung der Interessen von Vermieter und Mieter ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz.
4. Liegt die bisherige Miete unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete, kann das Gericht eine Erhöhung der Miete auf dieses Niveau vornehmen, ohne dass die Kappungsgrenzen oder sonstige formale Anforderungen des § 558a BGB zu beachten sind.
Sachverhalt:
Der Vermieter hatte dem Mieter gekündigt, woraufhin dieser form- und fristgerecht Widerspruch einlegte. Der Mieter berief sich darauf, dass ein erzwungener Wohnungswechsel aufgrund seiner psychischen Erkrankung eine erhebliche Gefahr für seine Gesundheit darstelle. Er machte geltend, dass ein Umzug mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem Suizid führen würde. Nach Einholung eines fachärztlichen Gutachtens wurde bestätigt, dass die Gefahr einer schweren psychischen Verschlechterung bis hin zur Suizidalität bei einem Umzug konkret bestand und keine geeigneten Therapiealternativen zur Verfügung standen.
Entscheidung:
Das Landgericht Berlin wies die Räumungsklage des Vermieters zurück. Es stellte fest, dass der Mieter aufgrund seines wirksamen Widerspruchs nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses hat. Die Beweisaufnahme bestätigte, dass eine unzumutbare Härte vorliegt, die sich erheblich von den allgemein mit einem Umzug verbundenen Unannehmlichkeiten abhebt. Maßgeblich war dabei der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung, zu welchem Zeitpunkt die Suizidgefahr weiterhin bestand.
Das Gericht entschied ferner, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zu den bisherigen Konditionen erfolgen musste. Gemäß § 574a Abs. 1 Satz 2 BGB können die Bedingungen des Mietverhältnisses angepasst werden. Da die bisherige Miete unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete lag, wurde eine angemessene Erhöhung der Miete festgesetzt. Dabei waren die regulären Anforderungen an eine Mieterhöhung nach § 558a BGB nicht zu beachten.
Praxisrelevanz:
Das Urteil zeigt die hohe Bedeutung des sozialen Mieterschutzes in extremen Fällen psychischer Erkrankungen. Für Vermieter bedeutet dies, dass eine Kündigung trotz wirksamer Erklärung unter Umständen nicht durchsetzbar ist, wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe entgegenstehen. Gleichzeitig bestätigt das Gericht, dass eine Mietanpassung möglich ist, um eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter wirtschaftlich tragbar zu gestalten.
Fazit:
Die Entscheidung des LG Berlin II unterstreicht die Bedeutung der Härteklausel im Mietrecht und betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen Interessenabwägung. In Fällen gravierender gesundheitlicher Beeinträchtigungen können Mieter auch gegen den Willen des Vermieters in der Wohnung verbleiben. Gleichzeitig erhalten Vermieter die Möglichkeit, wirtschaftlich tragfähige Anpassungen der Mietbedingungen durchzusetzen.
Jens Schulte-Bromby