Wer nach einer Eigenbedarfskündigung seine Wohnung nicht räumen kann, weil ein Umzug seine psychische Gesundheit massiv gefährden würde, kann sich auf einen sogenannten Härtefall berufen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun klargestellt, dass ein solcher Härtefall nicht zwingend durch ein fachärztliches Attest belegt werden muss (Urteil vom 16.04.2025, Az. VIII ZR 270/22).
Im entschiedenen Fall lebte ein Berliner Mieter seit 2006 in seiner Wohnung. Im Jahr 2020 kündigte ihm die Vermieterin wegen Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Mieter widersprach der Kündigung mit der Begründung, ein Umzug stelle für ihn eine unzumutbare gesundheitliche Belastung dar. Er leide unter Depressionen, emotionaler Instabilität und existenziellen Ängsten. Die räumliche Veränderung könne seine Situation dramatisch verschlechtern – bis hin zu Suizidgefahr.
Zur Untermauerung seines Vortrags legte der Mieter eine Stellungnahme seines behandelnden Psychoanalytikers vor. Die Vorinstanzen – Amtsgericht Neukölln und Landgericht Berlin – sahen darin jedoch keinen ausreichenden Nachweis. Sie hielten ein fachärztliches Attest für zwingend notwendig und gaben der Räumungsklage statt.
Der BGH hob diese Entscheidungen nun auf. Ein fachärztliches Attest ist nicht immer erforderlich, so die Karlsruher Richter. Auch die Einschätzung eines „medizinisch qualifizierten Behandlers“ – wie etwa eines Psychoanalytikers – kann im Einzelfall genügen, wenn sie ausreichend fundiert ist. Die Vorinstanzen hätten sich mit der Qualität und Aussagekraft der vorgelegten Stellungnahme überhaupt nicht auseinandergesetzt – das sei rechtsfehlerhaft.
Das Verfahren wurde zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
Fazit für Mieter:innen
Bei einer Eigenbedarfskündigung können gesundheitliche Gründe einen Härtefall darstellen – auch ohne Attest eines Facharztes. Entscheidend ist, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung substantiiert dargelegt und nachvollziehbar belegt wird. Auch Stellungnahmen nicht-ärztlicher, aber medizinisch qualifizierter Behandler können hierfür ausreichen.
Jens Schulte-Bromby