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Aufsichtsräte zum Schadensersatz in Millionenhöhe verurteilt

21.07.2021 

Das Kammergericht Berlin hat zwei ehemalige Aufsichtsratsmitglieder einer insolventen Aktiengesellschaft zu Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe verurteilt. Geklagt hatte der Insolvenzverwalter. Selbst die Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates sowie durch die Vorstände vorenthaltene Informationen über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft konnte die Aufsichtsräte nicht von ihrer Haftung befreien.

Der Sachverhalt

Die Aufsichtsräte wurden vom Insolvenzverwalter der insolventen AG wegen Verstoßes der Vorstände gegen das Zahlungsverbot in Anspruch genommen. Die Vorstände hatten nach Eintritt der Insolvenzreife noch Zahlungen an Gläubiger in siebenstelliger Höhe geleistet und damit gegen § 92 Abs. 2 AktG aF verstoßen.

Grundsätzlich sind Aufsichtsräte gem. § 116 AktG verpflichtet, die Einhaltung dieses Zahlungsverbots durch Überwachung des Vorstandes sicherzustellen. Kern der gerichtlichen Auseinandersetzung war jedoch, ob die Aufsichtsräte in diesem Fall überhaupt in der Lage waren, die verbotenen Zahlungen zu verhindern.

Um die Einhaltung des Zahlungsverbotes sicherzustellen, gibt das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat verschiedene Instrumente an die Hand. Zunächst hat er die Möglichkeit, vom Vorstand umfangreiche Informationen zur wirtschaftlichen Situation einzuholen. Stellt der Aufsichtsrat dabei eine wirtschaftliche Schieflage oder gar eine Insolvenzreife fest, muss er darauf hinwirken, dass der Vorstand einen Insolvenzantrag stellt. Bleibt der Vorstand uneinsichtig und ist zu besorgen, dass er seinen Pflichten nicht ordnungsgemäß nachkommt kann, muss der Aufsichtsrat im äußersten Fall den Vorstand – oder einzelne Vorstandsmitglieder – abberufen.

Im vorliegenden Fall wurden zwar wiederholt Informationen über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft vom Vorstand angefordert. Jedoch erhielt der Aufsichtsrat diese Informationen nicht im geforderten Umfang – vielmehr beschwichtigte der Vorstand den Aufsichtsrat stets und versprach baldige Zahlungseingänge aus verschiedenen Projekten, die die Liquidität stabilisieren würden. Nachdem diese Zahlungseingänge ausblieben und weiterhin Zahlungen an Gläubiger getätigt wurden, wäre der Aufsichtsrat angehalten gewesen, bei den Vorständen auf die Stellung eines Insolvenzantrages hinzuwirken sowie von seinen Kompetenzen Gebrauch zu machen und seine Zustimmung zu bestimmten Geschäften zu verweigern oder sogar direkt die Vorstände abzuberufen.

Tatsächlich war der Aufsichtsrat zu diesem Zeitpunkt jedoch aufgrund der Krankheit des dritten Aufsichtsratsmitgliedes nicht mehr vollständig besetzt und damit beschlussunfähig. Ihm blieb mithin überhaupt nicht die Möglichkeit, den Vorstand abzuberufen oder andere Maßnahmen im Beschlusswege zu ergreifen. Zudem handelte es sich bei der insolventen Gesellschaft um eine personalistisch geprägte AG – die beiden Vorstände waren gleichzeitig Hauptaktionäre der AG und hätten den Aufsichtsrat in der Hauptversammlung jederzeit abberufen oder seine Entscheidungen rückgängig machen können.

Der Insolvenzverwalter blieb jedoch bei seiner Auffassung, schon alleine die Tatsache, dass die Aufsichtsratsmitglieder den Vorstand nicht intensiv genug überwacht hätten und den Ausführungen der Vorstandes zur baldigen Besserung der Liquidität Glauben geschenkt hätten, stelle eine Verletzung der Überwachungs- und Informationspflichten dar. Auch wenn die Aufsichtsräte den Vorstand nicht hätten abberufen können, so hätten sie doch zumindest bei den Vorständen auf die Stellung eines Insolvenzantrages hinwirken müssen, um ihren Pflichten nachzukommen.

 

Das Urteil

Das Landgericht Berlin folgte in erster Instanz noch den Ausführungen der Aufsichtsräte. Danach durften diese den Ausführungen der Vorstände Glauben schenken, wonach es zu einer baldigen Besserung der wirtschaftlichen Lage kommen würde. Es bestünde kein allgemeines Misstrauensgebot der Aufsichtsräte dem Vorstand gegenüber. Auch könne und müsse der Aufsichtsrat nicht jede einzelne Zahlung im Geschäftsbetrieb überwachen. Zudem habe der Aufsichtsrat aufgrund seiner Beschlussunfähigkeit tatsächlich keine Möglichkeit zur Abberufung des Vorstandes o.Ä. gehabt, eine etwaige Pflichtverletzung der Aufsichtsräte könne mithin nicht kausal für die geleisteten Zahlungen sein.

Das sah das Kammergericht in zweiter Instanz anders. Nach Ansicht des Kammergerichts bestand Insolvenzreife der Gesellschaft und diese hätte für die Aufsichtsräte zumindest erkennbar sein müssen. Aus diesem Grund hätten die Aufsichtsräte dem Vorstand nicht weiter vertrauen dürfen. Sie hätten ihre Überwachungs- und Kontrollpflichten vertiefen und insbesondere die Zahlungen kontrollieren müssen. Sofern die Aufsichtsräte vortragen, sie hätten aufgrund der Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates – die unstreitig geblieben war – die Zahlungen tatsächlich nicht verhindern können, ist das Kammergericht der Ansicht, sie hätten zumindest auf das Stellen eines Insolvenzantrages „hinwirken“ und auf die Strafbarkeit der Insolvenzverschleppung hinweisen müssen. Im äußersten Fall wären die Aufsichtsräte angehalten gewesen, Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung zu stellen und ihre Ämter niederzulegen.

So hätten, nach Ansicht des Kammergerichts, die Aufsichtsräte die Einhaltung des Zahlungsverbotes sicherstellen können oder es zumindest versuchen müssen. Da dies unterblieben sei, haften nun die Aufsichtsräte für die Verstöße des Vorstandes gegen das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 AktG aF.

 

Einschätzung & Empfehlung

Das Urteil des Kammergerichts führt zwar nicht zu einer Erhöhung der Anforderungen an die Überwachungs-, Kontroll- und Informationspflichten eines Aufsichtsrates. Sehr wohl macht es aber deutlich, wie schwer es für einen Aufsichtsrat durch die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 S atz 2 AktG ist, sich von einer Haftung zu exkulpieren. Selbst wenn den Aufsichtsratsmitgliedern keine aktienrechtliche Möglichkeit bleibt, die Einhaltung des Zahlungsverbotes sicher zu stellen, sind sie dennoch angehalten, zum Erhalt der Insolvenzmasse auf das Stellen eines Insolvenzantrages „hinzuwirken“, auch wenn dies praktisch nicht zu den vom Kammergericht und Gesetzgeber erwünschten Ergebnissen führen mag.

In der Anwendung der bisherigen Haftungsmaßstäbe ist das Urteil des Kammergerichts konsequent, gleichzeitig aber auch eine erneute Warnung an Aufsichtsratsmitglieder und im Ergebnis nicht billig. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH die Haftungsmaßstäbe beurteilt, wenn den Aufsichtsräten tatsächlich keine Möglichkeit zur Handhabe gegen den Vorstand verbleibt. Für die Praxis bleibt zu allererst zu empfehlen, die Erfüllung der eigenen Pflichten genauestens zu dokumentieren, um im Fall der Fälle der eigenen Beweislast auch nachkommen zu können. In besonders verfahrenen Situationen, in denen dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied keine Möglichkeit zur Handhabe gegen der Vorstand verbleibt, ist zudem die Amtsniederlegung eine Option, die zumindest genauestens in Betracht gezogen werden muss.

 

Hinweis: Der Autor, RA Markus Jansen, vertritt einen der beiden beklagten Aufsichtsräte. Gegen das Urteil des Kammergerichts Berlin wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt.

Ihr Ansprechpartner

Markus Jansen

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